Der Psalm 83 trägt den Titel ‚Freude am Heiligtum‘. Im Stundengebet, dem Gebet der Priester und Ordensleute, das den Rhythmus ihrer Tage bestimmt, wird folgender Vers gebetet: „Selig die Menschen, die Kraft finden in dir, die Pilgerwege im Herzen haben“ (V. 6). Dieser Ausdruck enthält einen Segen für diejenigen, die eine ‚Reise‘ im Glauben machen, einen geistlichen ‚Weg‘ gehen, der eine Verpflichtung von großer persönlicher Bedeutung mit sich bringt: Ich denke an die Taufe, an diejenigen, die eine christliche Ehe eingehen, aber auch an diejenigen, die sich für das Priester- und Ordensleben entscheiden.
Als Priester sprach ich diesen Vers jedes Mal, wenn die Liturgie ihn mir vorgab. Er war wie eine erneute Bitte um Segen für die Verpflichtung, die ich eingegangen war und die für mich mit meiner Priesterweihe – die ich am 3. Juli 1970 in der Kirche Chiesa Madre von Galatone aus den Händen von Bischof Antonio Rosario Mennonna seligen Angedenkens empfangen habe – und mit der Tatsache zusammenfiel, das ich in Gott die Unterstützung fand, die ich erhalten habe, um Ihm und der empfangenen sakramentalen Gnade treu zu bleiben.
Heute feiere ich fünfzig Jahre Leben als Priester – ein Ziel, das ich nach einer langen Phase meines Lebens erreiche, die mit einer wichtigen Zeitspanne im Leben der Kirche zusammenfiel, die ich geliebt und der ich gedient habe. Es handelt sich um die fünfzig Jahre seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die ich zunächst im Dienst einiger Pfarreien von Rom und dann des Apostolischen Stuhls verbracht habe, davon zwanzig Jahre als Bischof. Ich habe viele Jahre in verschiedenen Ländern gelebt: Sri Lanka, Iran, Brasilien, China/Hongkong, Irak, Jordanien und auf den Philippinen, und erinnere mich an alles in den einzelnen Ländern: an die Ereignisse, an das kirchliche Leben, an die Menschen. Ich habe mich Gefahren gestellt und Zufriedenheit erlangt. Ich habe pastorale Regionen in Afrika, Asien und Lateinamerika besucht mit dem Ziel, die missionarische Tätigkeit und die Evangelisierung der Völker kennen zu lernen und zu fördern. Ich war ein enger Mitarbeiter von drei Päpsten: dem inzwischen heiliggesprochenen Johannes Paul II., Benedikt XVI., ein Vater und Lehrer, und dem jetzigen Papst. Ich habe große kirchliche Persönlichkeiten kennen gelernt, wie Mutter Teresa von Kalkutta, aber auch Märtyrer, die aus Hass auf den Glauben getötet wurden, wie Schwester Cecilia Moshi Hanna, eine Dominikanerin aus Bagdad (2002), und den jungen Priester Ragheed Ganni aus Mosul (2007). Ich habe auch viele Laien und Priester kennengelernt, die den Glauben bekannten und dafür viele Jahre lang in chinesischen Gefängnissen saßen, Politiker auf allen Ebenen, viele einfache Menschen, die jeden Tag den Faden des Glaubens und der Nächstenliebe in Familie und Gesellschaft weben, Flüchtlinge, die den IS und die Kriege auf dramatische Weise überlebt haben, und schließlich viele Ordensleute von eindrücklicher menschlicher und geistlicher Größe sowie liebevolle Mitbrüder im Priesteramt. Wir waren gemeinsam unterwegs. Es hat mir nie an der Zeit gefehlt, um auch nur für kurze Zeitspannen in meine Heimat zurückzukehren: Hierher, wo meine Eltern begraben sind, an die ich heute mit Dankbarkeit und Liebe denke, wo meine Verwandten und Freunde leben, die ich sehr herzlich grüße und denen ich für ihre Unterstützung in vielen Situationen danke.
Wegen der Pandemie, die die ganze Welt getroffen hat, und deren dramatische Auswirkungen wir kennen, dachte ich nicht an eine öffentliche Feier: Unter solchen Umständen war vielleicht ein Tag der Besinnung und des stillen Dankes an Gott angebracht. Doch dem Bischof unserer Diözese Nardò-Gallipoli, Msgr. Fernando Filograna war es ein Anliegen, zusammen mit dem Klerus und dem Bürgermeister von Galatone diese Feier zu organisieren, die in einer den Umständen angemessenen Weise stattfindet, wie Sie sehen können. Für dieses großzügige Engagement und für dieses Zeichen der persönlichen Aufmerksamkeit spreche ich Ihnen meinen tiefsten Dank aus.
Ein Priester weiß genau, dass er seit der Zeit seiner Vorbereitung auf das heilige Amt stets zwei fundamentale Aufgaben hat, denen er sich widmen muss: Die erste ist – nach biblischer Lehre – die Hingabe an den Allerhöchsten: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen“ (Dtn 6,5; Mt 22,37). Der heilige Bischof und Märtyrer Cyprian lehrte, dass „nichts über Christus gestellt werden“ darf. Diese eindrückliche Lehre müssen wir stets im Sinn behalten. Die zweite Aufgabe bei diesem Engagement ist das Üben der seelsorgerlichen Nächstenliebe, das heißt der Dienst am Nächsten und an denen, die der Herr ihm anvertrauen wird und denen er auf seinem eigenen Weg begegnet.
Die Hingabe an Gott und die seelsorgerliche Nächstenliebe ereignen sich täglich auf der höchsten Ebene des persönlichen und liturgischen Gebets, dessen Mittelpunkt die Eucharistie ist. In der Eucharistie finden wir den Höhepunkt sowohl des geistlichen und sakramentalen Lebens der Kirche als auch des Lebens des Priesters. Da Jesus diese höchste Gabe seinen Jüngern mit den Worten – Tut dies zu meinem Gedächtnis (Lk 22,19) – anvertraute und diese sie dann an ihre Nachfolger weitergaben, aktualisiert Er selbst das Geheimnis seines eigenen Todes und seiner eigenen Auferstehung ständig neu: Das große Geheimnis der Erlösung und der unendlichen Liebe zur Menschheit. Der Priester verewigt also das Opfer Christi an den Vater, d. h. er erlaubt Jesus, es zu jeder Zeit und an jedem Ort neu darzubringen, indem er ihm seine Stimme und sein Wesen leiht. Gleichzeitig ist dem Priester damit erlaubt, durch sein Opfer für den Ewigen Gott mit Christus verbunden zu sein.
In der Tat nimmt der Herr in der Eucharistiefeier die Anrufung und das Gebet der Kirche auf, die durch das Sakrament zu Ihm fleht: Komm Herr Jesus, Maranà tha! (Offb 22,20), um die ungeduldige Erwartung der Kirche auf ihre Pilgerreise durch die Zeit zum Ausdruck zu bringen.
So finden wir in der Eucharistie zwei übereinstimmende Linien: Jesus, der die Kirche bittet, sein Opfer an den Vater zu erneuern, und die Kirche, die Jesus bittet, im selben Opfer mit Ihm vereint zu sein. Der Priester hat diesen Auftrag. Aus diesem Auftrag ergibt sich das Werk der Evangelisierung, der regenerativen Vergebung des Lebens der Gnade und der Zusammenarbeit im Dienst am Frieden und am Guten in der Welt.
Durch diese wenigen Zeilen erahnen wir, dass das Priestertum Jesu keine besondere Aktivität unter anderen des menschgewordenen Sohnes Gottes ist. Es ist die erlösende Vermittlung der Person Christi. Sein Priestertum ist keine Dynastie, man kann es auch nicht wählen wie man ein demokratisches Amt wählt, und es ist auch nicht dazu da, eine ‚Kaste‘ zu schaffen. Es umfasst auch keine Anpassungen menschlicher Natur, wie wir es oft gern hätten, um es sozusagen moderner und attraktiver zu machen und vielleicht bestimmte Probleme im Bereich der Berufungen oder der Pastoral zu lösen, auch wenn sie anerkennenswert sind. Selbst die Apostel hüteten sich angesichts der zunehmenden Bedürfnisse der frühchristlichen Gemeinde, den Willen des Meisters zu ändern. Sie wählten also Männer für den Dienst der Nächstenliebe aus, indem sie das Diakonat einrichteten, behielten sich selbst aber den Dienst der Eucharistie (Gebet) und der Verkündigung (Wort) vor (vgl. Apg 6,4).
Das Priestertum Christi, zu dem der Priester durch göttliche ‚Erwählung‘ und durch die Bestätigung der Kirche gelangt, ist seinem Wesen nach also eine übernatürliche Gabe. Es ist eine Handlung, zu der die übernatürliche Dimension durch die Ausgießung des Heiligen Geistes sowie die menschliche Dimension durch die Großherzigkeit der Person beitragen. Zudem wird der Priester durch sein zölibatäres Leben zum „Freund des Bräutigams“, Christus. Als Johannes der Täufer Jesus in der Nähe des Jordan begegnete, betrachtete er sich nicht als Vetter, sondern als „Freund des Bräutigams“ und freute sich, seine Stimme zu hören: „Diese Freude hat sich nun bei mir vollendet. Er muss wachsen, ich aber geringer werden“ (Joh 3,29-30). Paul VI. (Sacerdotalis caelibatus), Johannes Paul II. (Ecclesia de Eucharistia) und Benedikt XVI. (Sacramentum caritatis) haben gezeigt, dass der Zölibat „eine besondere Angleichung an den Lebensstil Christi selbst darstellt“ (SC Nr. 24), und Franziskus definiert ihn als „eine Lebensregel und eine Gabe für die Kirche“ (Interview vom 27.5.2014).
Ich möchte diese Gedanken nicht ohne einen kurzen Hinweis auf die heutige Liturgie des Wortes abschließen, die uns in der ersten Lesung (vgl. Sach 9,9-10) zu großem Jubel einlädt. Diese Einladung gilt umso mehr, als wir des Geschenks gedenken, das Jesus hinterlassen und die Kirche empfangen hat. In einer Vision sah der Prophet Sacharja den Messias – gerecht, demütig und siegreich – der den Tod überwindet und das Leben schenkt, wie der heilige Paulus in der zweiten Lesung sagt (vgl. Röm 8,9.11-13). Bei diesem Anlass heute richte sich meine Aufmerksamkeit jedoch auf das Evangelium (vgl. Mt 11,25-30), das uns einen Abschnitt aus dem Gebet vorlegt, das der Herr für die Seinen an den Vater richtet. Es sind Worte, die ich für mich als gültig empfinde und die ich mir zu eigen machen möchte, indem ich mich mit dem Gebet Christi verbinde:
Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, für den priesterlichen Dienst, den Du Deiner Kirche in Großzügigkeit und Wohlwollen hinterlassen hast. Ich danke Dir, dass Du mir das gleiche Amt wie Deinem Sohn Jesus Christus gewährt und mich mit Seinem priesterlichen Auftrag verbunden hast. Ich danke Dir, dass wir Dich durch Ihn als Schöpfer und vor allem als barmherzigen Vater kennen lernen durften. Ich danke Dir, weil Du zugelassen hast, dass Jesus, der Erlöser auch mein Joch, meine Erschöpfung, meine Ängste und mein Kreuz auf sich genommen hat. Ich danke Dir für den Trost des Heiligen Geistes und für diese fünfzig Jahre Leben als Priester im Dienst der Eucharistie und der seelsorgerlichen Nächstenliebe in der Kirche, und für all die Brüder und Schwestern, die mich in diesen langen Jahren begleitet haben. Amen.
Fernando Kardinal Filoni
4. Juli 2020