„Wenn Unser Herr bestimmte Dinge verheißen hat, wird Er sie im Laufe der Geschichte auch erfüllen“
Wenn wir an die Christen im Heiligen Land denken, sprechen wir von den „lebendigen Steinen“ dieses Landes. Welche Art von Leben führen diese Steine heute?
In der Tat gibt es derzeit keine Pilger. Es ist die gleiche Situation, die wir während der Pandemie erlebt haben und die sich nun wiederholt – allerdings mit einem erschwerenden Faktor: Das Westjordanland ist geschlossen und viele, die früher von Bethlehem nach Jerusalem zur Arbeit fuhren, haben diese Möglichkeit nicht mehr. Diejenigen, die sie noch haben, zum Beispiel die Lehrer an unseren Schulen, müssen bei der Ankunft und bei der Abfahrt ihre Fingerabdrücke am Kontrollpunkt registrieren lassen. Wenn sie dieses Verfahren auch nur aus Versehen nicht einhalten, werden sie bestraft.
Es ist also eine Situation, in der die meisten im Westjordanland lebenden Palästinenser (einschließlich der Christen) in diesem Gebiet eingesperrt sind. Was Bethlehem betrifft, so haben die Christen dieser Region ihre Arbeitsplätze verloren, weil sie hauptsächlich von den Pilgerreisen leben. In Gaza warten die wenigen verbliebenen Gemeindemitglieder auf das Ende des Krieges, um die Lebenden zu zählen. Doch sogar in Israel erleben die israelischen Araber – einschließlich der Christen, die sich zum Beispiel in Galiläa gut in das soziale Gefüge integriert hatten – diese Zeit mit großen Schwierigkeiten, da sich die Beziehungen verschlechtern und die Sicherheitsbedenken zunehmen.
Im Heiligen Land ist es für gewöhnliche Christen oft schwierig, die Anwesenheit verschiedener Kirchen zu verstehen. Können Sie uns erklären, welche Verantwortungs- und Handlungsbereiche die Kustodie des Heiligen Landes und das Lateinische Patriarchat von Jerusalem haben und wie die Kooperationsbeziehungen zwischen beiden aussehen?
Bis 1847 war nur die Kustodie im Heiligen Land vertreten. Bei der Neugründung des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem wurde eine Unterscheidung der Rollen beschlossen. Die bischöflichen Aufgaben fallen dem Patriarchen zu, und von ihm hängt die Ausrichtung des pastoralen Lebens ab. Der Kustos hingegen ist der Wächter der Heiligen Stätten und zusammen mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchat und dem armenisch-apostolischen Patriarchat für die Verwaltung des Status quo an den wichtigsten Wallfahrtsstätten wie der Grabeskirche in Jerusalem und der Geburtskirche in Bethlehem zuständig.
Auch darf die unterschiedliche Gerichtsbarkeit nicht vergessen werden. Das Lateinische Patriarchat ist in Israel, Palästina, Jordanien und Zypern tätig, während die Kustodie für Syrien, den Libanon, Ägypten, Rhodos und weitere Gebiete außerhalb dieser Regionen zuständig ist.
Darüber hinaus werden einige Aktivitäten sowohl vom Patriarchat als auch von der Kustodie durchgeführt, wie zum Beispiel die Bildungsarbeit in Schulen: Die Kustodie verfügt über 18 Schulen auf ihrem Gebiet, darunter die älteste Schule im Heiligen Land, die 1598 in Bethlehem gegründet wurde. Außerdem gibt es Pfarreien, die uns anvertraut sind, darunter Nazareth, Bethlehem, Jerusalem, Jericho und Akko. In allen genannten Fällen handelt es sich also um einen in Koordination geleisteten Dienst.
Die Bedürfnisse des Heiligen Landes und der dort lebenden christlichen Gemeinden sind derzeit sehr groß. Wie organisiert sich die Kustodie?
Wie der Orden vom Heiligen Grab sehr gut weiß, gibt es zwei Quellen für die kirchliche Unterstützung des Heiligen Landes: der Orden, der berufen ist, das Lateinische Patriarchat von Jerusalem direkter zu unterstützen, und die Karfreitagskollekte, von der 65% an die Kustodie und 35% an das Dikasterium für die orientalischen Kirchen gehen. Die Pro Terra Sancta-Kollekte ist für uns unverzichtbar und wurde 1974 von Papst Paul VI. durch das Apostolische Schreiben Nobis in Animo reformiert. Auch davor war die Spendensammlung von den Kommissariaten des Heiligen Landes genehmigt [Präsenz der Franziskaner in über 60 Ländern, die das Bewusstsein der Menschen für das Heilige Land schärfen und um Unterstützung und Solidarität für die Kustodie bitten, damit diese ihre Mission fortsetzen kann – Anm.d.Red.], weil die Kustodie nicht einfach eine Mission des Franziskanerordens ist, sondern ein offizielles Mandat des Heiligen Stuhls hat, der mit der Bulle Gratias agimus von 1342 unserem Orden die Sorge für die Heiligen Stätten und ausgehend davon auch den Einsatz in der Pastoral und der Sozialfürsorge anvertraut hat. Es ist auch dem jahrhundertelangen pastoralen Engagement der Brüder der Kustodie zu verdanken, dass Mitte der 1800er Jahre die Voraussetzungen für die Wiedererrichtung des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem geschaffen wurden. Heute jedoch, da es keine Pilger gibt, wird die wirtschaftliche Belastung durch die Instandhaltung und Verwaltung der Wallfahrtsstätten – die sich normalerweise durch Pilgerreisen selbst tragen – im Vergleich zu den verfügbaren Ressourcen unverhältnismäßig groß. Wir müssen Mittel aufbringen, um diese Einrichtungen weiter zu unterhalten und die einheimischen Christen, die vor Ort arbeiten, weiter zu beschäftigen. Auch in unseren Schulen arbeiten rund 1.000 Angestellte, und auch hier sind die Ausgaben hoch.