Der selige Bartolo Longo: Vorbild für Mitglieder des Ordens

Gespräch mit Msgr. Tommaso Caputo, Erzbischof und päpstlicher Legat von Pompeji, Prior der Provinz „Neapel – Selige Jungfrau vom Rosenkranz“ des Ordens vom Heiligen Grab

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Der selige Bartolo Longo: Vorbild für Mitglieder des Ordens Papst Franziskus betet in Pompeji vor dem Leib des seligen Bartolo Longo, Ritter vom Heiligen Grab, Diener der Armen und Apostel des Rosenkranzgebetes

Kann man sagen, dass Bartolo Longo für Pompeji ist, was Bernadette für Lourdes ist, das heißt der wahre Zeuge, der in gewisser Weise für die Echtheit der Botschaft der göttlichen Liebe steht, die den Pilgern in diesem Marienwallfahrtsort übermittelt wird?

Bartolo Longo wurde von Papst Johannes Paul II. als „Mensch der Heiligen Jungfrau“ definiert. In der Predigt zu seiner Heiligsprechung am 26. Oktober 1980 sagte der Heilige Vater auch über ihn, dass „er trotz der enormen Schwierigkeiten und Prüfungen aus Liebe zu Maria Schriftsteller, Apostel des Evangeliums, Verbreiter des Rosenkranzes, Gründer des berühmten Wallfahrtsortes wurde. Aus Liebe zu Maria schuf der die Einrichtungen der Nächstenliebe, wurde er Bettler für die Kinder der Armen, verwandelte er Pompeji in eine lebendige Hochburg der menschlichen und christlichen Güte. Aus Liebe zu Maria ertrug er schweigend Drangsale und Verleumdungen und durchquerte so einen langen Gethsemane in stetem Vertrauen zur göttlichen Vorsehung, in stetem Gehorsam dem Papst und der Kirche gegenüber.“ Sein menschlicher und geistlicher Weg ist an sich schon eine Botschaft der Liebe.

Durch ihn, durch seine Geschichte und seine Werke will der Herr uns zeigen, wie groß seine Barmherzigkeit ist, wie mächtig die Umkehr sein kann. Jeden Tag machen die Pilger hier in Pompeji wie Bartolo Longo die Erfahrung der Liebe der Heiligen Jungfrau. Auch heute noch sagt sie uns allen: „Wenn du das Heil suchst, so verbreite den Rosenkranz.“ Wenn wir den Wallfahrtsort und die ganzen Werke der Nächstenliebe in seiner Umgebung sehen, die aus dem Nichts, mit „einem Pfennig pro Monat“ erbaut wurden, wird uns intuitiv klar, dass diese Botschaft der Liebe wahr ist, die Gott Bartolo Longo durch die Heilige Jungfrau nicht nur für ihn selbst, sondern für jeden von uns übermittelt hat.


Könnten Sie uns erklären, warum die Botschaft von Bartolo Longo mehr denn je aktuell ist?

Bartolo Longo war ein Mann, der sich immer in die Zukunft hineindachte, seine Intuitionen wurden zurecht als „prophetische Intuitionen“ bezeichnet. Er nahm die Kinder der Häftlinge auf, wenn niemand sich um sie kümmern wollte; er baute Häuser für die Arbeiter lange vor Rerum Novarum, der Sozialenzyklika von Papst Leo XIII. Seine grundlegende Botschaft, die Glaube und Liebe vereinte, ist heute sehr aktuell. In den ersten Jahren, als er 1872 in Pompeji ankam, begriff er, dass er außer der Wallfahrtsstätte aus Stein, deren Bau ihm die Jungfrau eingegeben hatte, die Wallfahrtsstätte der Nächstenliebe bauen musste: Diesen Kranz von sozialen Werken, die aus Pompeji heute noch einen einmaligen Ort im Panorama der Wallfahrtsorte der ganzen Welt machen. Denn er sagte, dass „die Nächstenliebe ohne den Glauben die reinste Lüge wäre und die Nächstenliebe ohne den Glauben die reinste Inkohärenz.“ Er hatte persönlich die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes gemacht und wollte daher, dass alle sich geliebt fühlen. Daher nahm er die Letzten, die Außenseiter, die Ausgeschlossenen auf. Seine Werke, deren Strukturen und Funktionsweisen geändert wurden, sind hundertdreißig Jahre später noch immer Oasen der Hoffnung für gefährdete Kinder, für minderjährige Mütter, Jugendliche in der Krise, alte Menschen, ehemalige Drogenabhängige, Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge usw.


Bartolo Longo ist das einzige Laienmitglied des OESSH, das seliggesprochen wurde. Was ist Ihrer Meinung nach die Botschaft, die er den 30.000 Mitgliedern des Ordens auf der Welt übermitteln könnte? Könnte er ihr Schutzpatron werden? Wenn ja, wie?

Bartolo Longo, der am 30. Mai 1925 den Titel des Großkreuzritters des Ordens erhielt, war das leuchtende Beispiel eines Laien, der sich für das Zeugnis des Glaubens und der Nächstenliebe im Sinn des Evangeliums engagierte. So sind auch die Mitglieder des Ordens berufen, ihren Glauben, die Praxis eines vorbildlichen christlichen Lebens und eines andauernden Engagements in der Nächstenliebe zu bezeugen, um die christlichen Gemeinden im Heiligen Land zu unterstützen.

Wir haben keine uneingeschränkten Informationen über ein spezifisches Engagement für das Heilige Land, aber wir können mit Gewissheit sagen, dass er für das Heilige Land betete und andere aufforderte, für das Heilige Land zu beten, denn er war der Meinung, dass das Heiligtum von Pompeji untrennbar mit Jerusalem verbunden ist. Die Ritter und Damen des OESSH können in der Gestalt des seligen Bartolo Longo sicher ein überzeugendes Vorbild des christlichen Lebens finden, das sie inspirieren kann. Wenn sie versuchen, ihn in seinen Tugenden und seinem Engagement im Glauben und in der Nächstenliebe nachzuahmen, können sie auch in ihrem eigenen spirituellen Leben Fortschritte machen.

Was seine Rolle als Schutzpatron angeht: Darüber würden wir uns natürlich freuen. Die Regel sieht vor, dass der Heilige Stuhl darüber entscheidet, nachdem er eine gebührend begründete Bitte diesbezüglich geprüft hat, die ihm von der zuständigen Autorität unterbreitet wurde.


Was ist für Sie persönlich die tiefste Gnade von Pompeji? Und was hat Ihnen Papst Franziskus diesbezüglich bei seiner jüngsten Wallfahrt gesagt?

Als ich meinen Dienst in Pompeji begann – und das ist noch jeden Tag so – erfuhr ich die Gnade, täglich unter dem Blick Mariens zu leben. Ich spüre, dass ich sie jeden Tag mehr liebe und dass in mir der Wunsch wächst, Maria zu mir zu nehmen, wie der Apostel Johannes sie „zu sich nahm“ (Joh 19,27), damit „sie in den gesamten Bereich meines inneren Lebens, das heißt in mein menschliches und christliches Ich eingeführt wird“, wie uns der heilige Johannes Paul II. in der Enzyklika Redemptoris Mater (RM 45) lehrt. Jeder Christ sollte Maria in sein Haus einführen, mit Maria leben, mit Maria und um ihretwillen zu Christus gehen, weil sie – wie der heilige Augustinus sagte (Predigt 291) – die geistliche Mutter ist, die die Christen mit dem Heil nährt, das aus ihrem Schoß kommt.

Und jeden Tag habe ich den Beweis, dass der Wallfahrtsort Pompeji das Haus Mariens ist. Der Ort, an dem sie, die Mutter der Barmherzigkeit, ihre Liebe und ihre Vergebung mit vollen Händen an ihre Kinder austeilt. Die Gläubigen, die hierher kommen, vertrauen uns oft an, dass sie wirklich die Gegenwart Mariens spüren. Ein Besuch in unserer Wallfahrtsstätte ist wie eine Etappe, die die Seele erfrischt, den Geist auftanken lässt und neue Kraft gibt, um den Alltag anzugehen.

Am 21. März 2015 begann Papst Franziskus seine Reise nach Neapel in Pompeji, eben um Maria sich und uns alle anzuvertrauen. Die Intensität seines Blicks der Liebe auf die anwesenden Gläubigen, insbesondere die kranken Menschen, die Kinder, die alten Menschen, die Menschen mit Behinderung, sowie die Tiefe seiner inneren Sammlung im stillen Gebet vor der Ikone der Jungfrau vom Rosenkranz machten uns das Ausmaß seiner Spiritualität deutlich. Nachdem er als Geschenk für die Heilige Jungfrau einen kostbaren Rosenkranz auf den Altar gelegt hatte, wollte der Papst auch die sterblichen Überreste unseres Gründers, des seligen Anwalts Bartolo Longo verehren und ging zum Gebet in die ihm geweihte Kapelle. Dann ging er in den Beichtsaal, „den Mittelpunkt der Wallfahrtsstätte“, und sagte mir zwei Mal, ich solle den Beichtvätern empfehlen, beim Spenden des Sakraments der Versöhnung barmherzig zu sein, ein großes Herz zu haben, wie das Herz Gottes, das jedem von uns vergibt.

Ich wünsche den Ritter und Damen des Ordens vom Heiligen Grab, persönlich die Erfahrung der großen Liebe Gottes zu machen, und lade jeden ein, auch einzeln als Pilger in den Wallfahrtsort zu kommen, der von dem einmaligen Seligen des Ordens gegründet wurde. Die Jungfrau vom Rosenkranz von Pompeji, die er so sehr liebte, segne und behüte Sie immer.


Das Gespräch führte François Vayne


(3. August 2015)