Die erste große Liturgiefeier, die von dem neuen Großmeister des Ordens geleitet wurde
In Begleitung der höchsten Würdenträger unserer päpstlichen Institution, der italienischen Statthalter und der Ritter und Damen von Rom, feierte Kardinal Fernando Filoni am 1. Februar dieses Jahres die Messe in der Kirche Santo Spirito in Sassia, die sich gegenüber dem Palazzo della Rovere, dem Sitz des Großmagisteriums des Ordens vom Heiligen Grab befindet, um seinen Auftrag als Großmeister im Gebet zu beginnen.
Zahlreiche Mitglieder und Freunde des Ordens versammelten sich zu diesem Anlass in der überfüllten Kirche um ihn, um dem Herrn seinen Dienst und den Weg des Ordens in den kommenden Jahren anzuvertrauen. Nach der Eucharistiefeier war es Seiner Eminenz ein Anliegen, mit allen Teilnehmern im Palazzo della Rovere zusammenzutreffen und jeden persönlich zu begrüßen.
Wir veröffentlichen hier die Predigt, die er bei der ersten öffentlichen Messe gehalten hat, die er als Großmeister leitete.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus,
Ich wollte gleich in den ersten Tagen meiner Ernennung an die Spitze des Ordens mit Ihnen zusammentreffen, um zu beten und Gott um die Gabe des Lichtes und seiner Gnade zu bitten.
Als ich über unseren besonderen Auftrag oder unsere Berufung in der Kirche nachdachte, erinnerte ich mich an die Abschnitte aus dem Evangelium, in denen von der Berufung der Jünger Jesu die Rede ist. In der Tat hat er eine tiefe menschliche Beziehung zu ihnen aufgebaut, sie unterwiesen und sich ihnen offenbart. Im Matthäus-Evangelium heißt es, dass der Herr zwei Brüder sah, Simon, genannt Petrus, und seinen Bruder Andreas; […]. Jesus sagte zu ihnen: Kommt her, mir nach! […] Als er weiterging, sah er zwei andere Brüder, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes […]. Sogleich folgten sie Jesus nach“ (Mt 4,18-19.21.22). Jesus […] sah einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Und Matthäus stand auf und folgte ihm nach“ (MT 9,9). Jesus holt jeden von ihnen dort ab, wo das Leben ihn hingeführt hat, und ihre Blicke haben sich für immer gekreuzt.
Daher denke ich, dass unsere Berufung in den Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem ebenso die Frucht einer Begegnung und eines Rufs ist, für den wir sozusagen geprüft und erwählt wurden. Genauso wie Maria Magdalena am leeren Grab angesichts des Blicks und der unnachahmlichen Stimme des auferstandenen Jesus sofort gedrängt war zu rufen „Rabbuni“, das heißt Meister, denn es war nicht der Gärtner, sondern der lebendige Herr! (vgl. Joh 20, 14-17). Doch welche Besorgnis, welche Aufregung in Herz und Geist!
Dasselbe können wir vom heiligen Paulus sagen, der auf dem Weg nach Damaskus, wo er Christen verhaften wollte, in seinem Inneren vom Herrn erschüttert wurde. Bei dieser Erfahrung, dieser Begegnung erkannte er, der die Christen verfolgte, die Gnade und empfing die Kraft, die sein Leben verwandelte und aus ihm den großen Prediger unter den Heiden machte.
Liebe Damen und Ritter des Heiligen Grabes, zu denken, dass jeder in einem bestimmten Augenblick seines Lebens vom Herrn angeschaut und geliebt wurde und dass Sein Blick sich unserem Herzen eingeprägt hat, erlaubt uns, über den Sinn unserer Zugehörigkeit zum Orden nachzudenken.
Wir gehören ihm nicht an, weil wir ihn durch unsere Geschlechterfolge oder unsere Gesellschaftsklasse geerbt haben, sondern weil wir von dem berufen wurden, der den Wendepunkt der Menschheitsgeschichte gekennzeichnet hat. Wir könnten sagen, dass das „leere Grab“ der Punkt und der Ort ist, an dem sich die Geschichte des „schändlichen“ und „ungerechten“ Endes, das einem Mann zugefügt wurde, der Gutes getan hatte, der für die religiösen Führer und die Macht Roms jedoch störend geworden war, und die Geschichte von Petrus, Johannes, Maria Magdalena und anderen sich gekreuzt haben, die sahen, dass das Grab leer war, die aber vor allem den auferstandenen Jesus erkannten. Diese Geschichte geht bis zu uns weiter; sie ist nicht zu Ende.
Vor diesem leeren Grab und durch die Begegnung mit dem lebendigen Christus findet die größte Verwandlung der Menschheit statt, die unvorstellbare Perspektiven für das Zusammenleben der Völker, die gesellschaftlichen Beziehungen, die Dimensionen des Geistes, den Sinn der Existenz eröffnet hat: Die Geschichte würde niemals mehr so sein wie zuvor. Die Menschen wurden nach dem Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung gerichtet: Die Liebe wurde wieder hergestellt, Gut und Böse hatten eine klare Trennlinie, die Gnade und die Wahrheit, die von Christus gezeigt wurden, offenbarten das barmherzige Antlitz Gottes (vgl. Joh 1,17-18).
Durch das Entdecken des leeren Grabes, das sie verblüfft und bestürzt hat, und durch die Begegnung mit dem Auferstandenen, der den inneren Frieden zurückgab und eine unermessliche Freude weckte (vgl. Joh 20,20), begann das Abenteuer des „christlichen“ Glaubens.
Für uns ist es immer nützlich, das eindrückliche Zeugnis des Petrus und der anderen Jünger anzuhören, die dem ungläubigen Thomas zuriefen: „Wir haben den Herrn gesehen!“ (Joh 29,25). Gerade aus diesem Unglauben, in dem sich Demütigung und Glaube vermischten, entstand die letzte Seligpreisung Jesu, die das Leben jedes Gläubigen begleitet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).
Mit diesem demütigen und beruhigenden Glauben an den Auferstandenen möchten wir in Einklang mit dem Evangelium von heute in das Boot steigen, von dem es spricht; es handelt sich nicht um ein materielles Boot, sondern um das Boot des Lebens, das in der Besorgnis des Herzens und des Geistes unterwegs ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob während der Überfahrt, die unser Leben darstellt, manchmal völlige Windstille herrscht und es uns wie sinnlos erscheint. Es spielt auch keine Rolle, ob wir wie bei einem Sturm von einem ungestümen und zerstörerischen Wind durchgeschüttelt werden: Es spielt nicht einmal eine Rolle, ob wir manchmal das Gefühl haben, dass das Boot umkippen oder sich mit Wasser zu füllen scheint und wir in unserer Angst schreien: „Wir sind verloren“ (Mk 4,38) – wenn nur der Auferstandene bei uns ist.
Den Auferstandenen in dem kleinen Boot unseres Lebens oder in dem großen Schiff der Kirche zu haben und zu wissen, dass Er versprochen hat, uns vor dem Bösen zu bewahren (vgl. Joh 17,15) und in der Wahrheit zu heiligen (vgl. Joh 17,17), das ist für uns die Garantie und die Gewissheit, dass Jesus im rechten Moment da sein wird, um den Wellen zu drohen und dem Wind zuzurufen: „Schweig, sei still!“ (Mk 4,39).
Als Damen und Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem gehen wir von demselben Ort aus, von dem aus auch Petrus, Johannes, Maria von Magdala und die anderen in die Welt gegangen sind. Das heißt von diesem leeren Grab aus und von der Begegnung mit Christus, unserer Hoffnung und unserer tiefsten Freude: Wir wissen, dass Er unserer Existenz Sinn verleiht und dass wir Zeugen des lebendigen Herrn sind.
An Sie alle, die Sie hier zugegen sind, und an die ganze große Familie der Damen und Ritter des Ordens auf der Welt richte ich meine herzlichen Grüße, meine Hochachtung und mein Gebet. Unsere Existenz im Leben der Kirche, die mehrmals von den Päpsten anerkannt wurde, hat zum Ziel zu versichern, dass auf dieser Erde, auf der es so viele heilige Stätten gibt, das Evangelium weiter ausstrahlt und dass die Werke der Nächstenliebe, die Unterstützung der kulturellen und sozialen Einrichtungen und die Verteidigung der Rechte derer, die auf ihr leben, weitergehen.
Diese Zielsetzungen als Ganzes führen uns zurück zu den neutestamentlichen Wurzeln unseres Auftrags im Heiligen Land. Wir wissen, dass die ersten Christen in Antiochien wegen der großen Hungersnot, die in den Jahren 49-50 „unter Kaiser Claudius“ auftrat, mit bemerkenswertem Eifer „beschlossen, den Brüdern, die in Judäa lebten, etwas zur Unterstützung zu senden (jeder nach seinem Vermögen)“; so schickten sie Hilfe „durch Barnabas und Saulus“ (Apg 11,27-30).
Das war eine Geste tiefer Solidarität, so wie Paulus sie von den Kirchen in Galatien und Korinth (1 Kor 16,1-4) und von den Christen in Mazedonien erbeten hatte. Letztere hatten trotz ihrer „tiefen Armut“ eine beeindruckende Großzügigkeit bewiesen: „Ich bezeuge, dass sie nach Kräften und sogar über ihre Kräfte spendeten, ganz von sich aus“, schreibt der Apostel in seinem zweiten Brief an die Korinther. „Sie haben uns eindringlich um die Teilnahme an diesem Liebeswerk und die Gemeinschaft des Dienstes für die Heiligen gebeten“ (2 Kor 8,1-6). Was für eine großzügige Haltung, an der Unterstützung der Christen in Palästina teilnehmen zu wollen!
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, in all diesen Gesten finden wir – ich wiederhole mich – die Wurzel unserer Taten und des Auftrags, den die Päpste uns anvertraut haben. Wir dürfen nie vergessen, dass die Nächstenliebe und die Solidarität den Ritterorden vom Heiligen Grab charakterisieren! Wir fühlen uns von diesen Eigenschaften geehrt, die uns zukommen, um zugunsten der Patriarchal-Kirche in Jerusalem und unserer vielen bedürftigen Brüder und Schwestern zu handeln, die in diesem Land leben. Ein Land, das vom Höchsten gesegnet ist, aber das auch Frieden braucht.
Ich danke Ihnen für Ihre Gegenwart. Ich danke Ihnen für Ihre Großzügigkeit. Ich danke Ihnen für Ihr Gebet. Die Selige Jungfrau Maria, Königin von Palästina, beschütze Sie. Wir vertrauen uns ihr an. Der Höchste segne Sie. Amen.