Die Kirche im Irak besser verstehen und lieben

Print Mail Pdf

La_Chiesa_in_Iraq_New3 Die Christen im Irak. Ihre Geschichte von den Anfängen bis heute, von Kardinal Fernando Filoni, Camino 2016

Da dieser Monat März von der Reise von Papst Franziskus in den Irak geprägt ist, wollte der Großmeister des Ordens die Aufmerksamkeit der Mitglieder auf dieses biblische Gebiet lenken, das das Evangelium bereits in der Zeit der Apostel empfangen hat. Kardinal Filoni, ehemaliger Apostolischer Nuntius im Irak und Autor eines Buches über die Kirche im Irak[1] - der zur päpstlichen Delegation bei dieser Reise gehört – führt hier einige wesentliche Überlegungen aus, die uns helfen, das Ereignis und seine Folgen in der Gemeinschaft mit den Christen des Nahen Ostens tiefer zu verstehen.

Die Geschichte der Christen in Nahost, und besonders in Mesopotamien – dem heutigen Irak – zu kennen, ist keine unnötige kulturelle Extravaganz. Sie zu kennen hilft uns, nicht nur die Gründe für die dramatischen Ereignisse in dieser Region zu verstehen, sondern auch das Leben, die Kultur, das Glaubenszeugnis und die Liebe der Christen zu ihrem Land – ja sogar den Hass ihrer Feinde zu begreifen. Zugleich erkennen wir so auch den Edelmut, der im Herzen dieser Menschen wohnt, die ihre Stärke besonders zwei Umständen zu verdanken haben: dass sie eine Minderheit sind – sich ihren Werten, ihrer Kultur also besonders verbunden fühlen – aber auch Erben von Märtyrern und Glaubensbekennern, Träger jener im Glaube der Väter verwurzelten Wert sind, derer sich andere nicht in gleicher Weise rühmen können.

Wer unter ihnen gelebt oder über sie gelesen hat, sie also kennt, der kann dieses Volk nur lieben. Einander u kennen verbindet nämlich nicht nur, sondern befähigt auch zum Teilen und zur Anteilnahme.

Die Geschichte dieses Volkes ist ein Sieg über die Ignoranz, der Obskurantismus und die Intoleranz; sie steht für Respekt und ist ein Ansporn, gemachte Fehler nicht zu wiederholen.

Sie macht uns deutlich, dass diese Gemeinschaften Jahrhunderte der Unterdrückung überlebt haben; ein Leben aus jahrhundertelang dem Druck von Steuern und Abgaben, Zwangsehen und Verboten, Diskriminierung und Hass, Intoleranz und Missgunst – und schließlich auch der Verfolgung. All das haben die Christen dank ihrer unglaublichen Widerstandskraft und ihrer bewundernswerten praktischen und kulturellen Anpassungsfähigkeit überstanden, ohne je im Glauben nachzulassen.

Das Erbe dieser Christengemeinde, die sich bis in die Apostolische Zeit zurückverfolgen lässt, sind 21 Jahrhunderte Liebe zu Christus und zur Kirche. Und es ist eine Gemeinde, die alles auf sich nimmt, um sich nicht dem „Sieger“ beugen zu müssen, der gerade den Ton angibt. Es ist eine „heroische Kirche“, wie Benedikt XVI. und Papst Franziskus wiederholt gesagt haben. Ohne diese Kirche bzw. Kirchen – wenn man an alle Kirchen in Nahost denkt, die diesen Namen tragen – wäre die Region nicht das, was sie ist. Dennoch kann ich nicht umhin, auch an die anderen ethnischen und religiösen Minderheiten zu denken, die so oft Verfolgung und Leid erdulden müssen. In dieser Region gibt es nämlich ein wahres Mosaik an Nationalitäten, Religionen und Konfessionen, ohne die sie schon längst für immer zerstört wäre. Ein Umstand, den auch namhafte muslimische Autoritäten und einfache Bürger nicht leugnen, wie mir wiederholt gesagt wurde. Und das ist positiv. Aber man muss hinzufügen, dass der Erhalt und das Leben der Minderheiten unbedingt erleichtert werden müssen.

Als Papst Franziskus mich am 10. August 2014 als seinen persönlichen Vertreter in den Irak schickte, um Menschen zu treffen, mit ihnen zu sprechen, zu sehen, zu loben, zu beten und mich solidarisch mit dem unsäglichen Leid der Opfer des Fanatismus des Islamischen Staates zu erweisen, war das eine schwere und zutiefst erschütternde Erfahrung.

Trotz der Unsicherheit und der Pandemie, die auch den Irak trifft, hat der Papst heute beschlossen, dorthin zu gehen. Wie der chaldäische Patriarch, Kardinal Louis Sako sagte, reist der Papst nicht in den Irak, um die vielen Probleme zu lösen, sondern um Kraft und Grund zur Hoffnung, zum Dialog zwischen Christen und Muslimen zu geben und gleichzeitig auch, um die Bemühungen in einer komplexen politischen Wirklichkeit zu fördern, die von Tribalismus und lokalen und internationalen Interessen bedrängt wird. Ich bin sicher, dass ein großer Teil des irakischen Volkes den heutigen Tag als eine Geste des Friedens und der Solidarität betrachtet.

 

Fernando Kardinal Filoni

(März 2021)

 

 

[1] Die Christen im Irak. Ihre Geschichte von den Anfängen bis heute, von Kardinal Fernando Filoni, Camino 2016