Kardinal Filoni: „Es ist falsch, von einem ‚Ehren-Orden‘ zu sprechen“

BEGEGNUNG MIT KARDINAL FERNANDO FILONI, DEM NEUEN GROSSMEISTER DES RITTERORDENS VOM HEILIGEN GRAB

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Kardinal Filoni

Eminenz, in welchem Geist stellen Sie sich dieser neuen Verantwortung als Großmeister des Ordens vom Heiligen Grab, die der Papst Ihnen am 8. Dezember 2019 anvertraut hat?

Im Laufe meines Lebens im Dienst an der Kirche – zunächst als Vikar in Rom (neun Jahre) und dann im Dienst des Apostolischen Stuhls (fast vierzig Jahre lang) – habe ich gelernt, jede Gegebenheit zu lieben, für die ich ausersehen wurde. Unter diesen kann ich nicht umhin, die kirchlichen Missionen im Nahen Osten hervorzuheben. Im Iran (zur Zeit des iranisch-irakischen Krieges), im Irak und in Jordanien (2001-2006). In Jordanien, insbesondere als dem Gebiet, in dem die Propheten Moses und Johannes der Täufer und dann Jesus gepredigt haben, war ich von diesen einzigartigen Verbindungen mit der Heiligen Geschichte beeindruckt. Ich hätte nie gedacht, dass ich nach meiner Ernennung an die Spitze des Ordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem dorthin zurückkehren würde, um mich darum zu kümmern. Ich hatte den Eindruck, zu einer „Liebe“ zurückzukehren, die ich nie vergessen hatte.
 

Am Tag Ihrer Ernennung wurde in sozialen Netzwerken geschrieben, dass das Amt des Großmeisters des Ordens ein Ehrentitel sei. Wie reagieren Sie auf diese Aussage? Und allgemeiner gesagt, inwiefern ist die Mitgliedschaft im Orden nicht nur eine Ehre für seine Mitglieder?

Ich meine, dass der Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem zwei Dimensionen entfaltet, die selbst den Medien im Allgemeinen unbekannt sind. Der Orden hat sicherlich eine säkulare Geschichte. Dabei stehen zu bleiben, scheint mir eine Verkürzung, auf jeden Fall aber unvollständig zu sein. Heute ist der Orden eine große Familie von (dreißigtausend) Ehrenamtlichen, die in der ganzen Welt präsent sind und dank ihres freiwilligen Beitrags ermöglichen, dass die heiligsten Stätten des Christentums im Heiligen Land nicht nur Museen, sondern von Leben erfüllt sind. Dieses Leben hat zwei Ebenen: Die erste ist an die Christen gebunden, die dort wohnen; in diesem Sinne werden die Spenden der Ordensmitglieder zur Unterstützung armer Familien, der Grundschulen und weiterführenden Schulen, der Universität Bethlehem, der medizinischen Einrichtungen und heute auch der Flüchtlinge verwendet. Die zweite Ebene ermöglicht es Pilgern aus der ganzen Welt, die heiligsten Stätten in einem für ihre Wallfahrt förderlichen Zustand vorzufinden. All dies geschieht im Einklang mit dem Katholischen Patriarchat von Jerusalem, das für Israel, Palästina und Jordanien zuständig ist. Zusammenfassend kann man sagen, dass es falsch ist, von einem „Ehren-Orden“ zu sprechen.
 

Ihre große Erfahrung im Dienst der Kirche ist eine Chance für den Orden, insbesondere weil Sie den Nahen Osten kennen, da Sie als Nuntius in Jordanien, im Irak und im Iran tätig waren. Was sind Ihre stärksten Erinnerungen an diesen Teil der Welt und wie kann der Orden Ihrer Meinung nach langfristig zur Förderung des Friedens dort beitragen?

Der Frieden ist die Frucht der Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Es ist frustrierend, für den Frieden zu arbeiten und zu sehen, dass er gefährdet wird. Aber der Frieden gründet auf der Achtung der Rechte aller: Ich denke dabei insbesondere an die Rechte der Menschen, die im Heiligen Land leben (aber das Gleiche kann man auch vom gesamten Nahen Osten sagen). Das Problem beginnt dort, wo sich Vorurteile der Überlegenheit ausbreiten, sowie mangelndes historisches Verständnis und die Ablehnung einer komplexen Realität, die Geduld und Dialog von allen erfordert. Wenn wir an das Erbe der Werte denken, die uns als Juden, Muslime und Christen nicht nur geistig vereinen, entdecken wir tatsächlich das, was uns verbindet, und vor allem den Einen Gott, der sich als Vater in diesem Land offenbart hat. Ein Gott, der keine Bevorzugung gewährt (dabei jedoch die Verschiedenheit achtet), und in dessen Namen wir uns nicht gegenseitig bekämpfen und töten dürfen. Die gewaltsamen Kriege und die Feindschaften, die das Heilige Land (und den Nahen Osten) immer wieder mit Blut beflecken, können ihre Rechtfertigung weder in Gott noch in einem Land finden, das in erster Linie dem Gott der Offenbarung gehört.
 

Der Orden ist wenig bekannt, manchmal ist er Opfer von Vorurteilen, wohingegen sein Auftrag zugunsten der Mutterkirche im Heiligen Land von entscheidender Bedeutung ist. Was erwarten Sie, Eminenz, von den dreißigtausend Mitgliedern des Ordens, damit sie ein genaueres Bild ihrer Berufung zur Heiligkeit und des wichtigen Dienstes übermitteln, den sie der Kirche leisten?

Vorurteile sind der Tod der Wahrheit. Sie haben ihren Nährboden auch oft in der Unwissenheit. Insbesondere an uns Mitgliedern des Ordens liegt es, uns dafür einzusetzen, dass sie zurückgeht und wie wir hoffen verschwindet. Ich hoffe, dass meine Worte auch den Wunsch wecken, den Orden vom Heiligen Grab besser kennenzulernen. Ich möchte hier betonen, dass man weder über die Familie, der man angehört, noch über sein soziales Milieu Zugang zum Orden erhält. Heute nimmt der Orden Menschen auf, die in ihrem Leben das Ideal eines christlichen Lebens umsetzen, das in einem leeren Grab wurzelt, neben dem man dem lebendigen, auferstandenen Jesus begegnet. Das Leben eines Ritters und einer Dame ist „christologisch“, d.h. auf das Geheimnis Jesu ausgerichtet, wie der heilige Paulus lehrt (1 Kor 15,14): „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube.“ Darüber hinaus ist der ganz konkrete Punkt in ihrem Leben in bezeichnender Weise ihre Beteiligung an der Unterstützung der Orte, der Werke und ihrer bedürftigen Brüder und Schwestern im Heiligen Land. Die dreißigtausend Mitglieder auf der Welt bilden somit eine große Familie oder, wenn Sie so wollen, eine große „Gemeinde“.
 

Der Orden ist eine päpstliche Institution und damit untrennbar mit dem Heiligen Stuhl verbunden ist. Welches sind Ihrer Meinung nach die Ereignisse des kirchlichen Lebens, für die die Ritter und Damen aufmerksam sein sollten, um immer mehr in Gemeinschaft mit der weltweiten Kirche voranzugehen?

Ich werde nicht auf seine sehr alten historischen Ursprünge zurückkommen. Der Orden hat immer den Schutz des Apostolischen Stuhls genossen, und zwar so sehr, dass Pius X. (1907) bei seiner Wiedereinrichtung das Amt des Großmeisters des Ordens sich selbst vorbehielt. Pius XII. (1940) übertrug dieses Amt dann einem Kardinal, und so ist es auch heute noch. Es besteht also eine enge Verbindung zwischen dem Apostolischen Stuhl und dem Orden. Aus diesem Grund gehört es zu den Zielen des Ordens, außer dem eifrigen Einsatz für das christliche Leben seiner Mitglieder und außer der Unterstützung der Werke im Heiligen Land, auch den Glauben durch das persönliche Lebenszeugnis zu verbreiten und die Rechte der katholischen Kirche in dieser Region zu verteidigen. Dabei achten sie die jeder Einheit zustehenden Rechte, wodurch das friedliche Zusammenleben aller gefördert wird. Aus diesem Grund ist der Orden empfänglich für die Lehren des Papstes in dieser Region und fördert so die Entwicklung von Einklang und Fürsorge.


Das Gespräch führte François Vayne


(7. Februar 2020)